Kritiken (Auswahl)

Gießener Allgemeine Zeitung 23.6.2001
Ebenen der Erinnerung

Geboren wurde Georg Dickenberger 1913. Damit steht die Geschichte fast des gesamten zwanzigsten Jahrhunderts in enger Verbindung zu seiner Biografie. Sein Vater fiel im Ersten Weltkrieg (der Maler und Schriftsteller kann sich heute noch erinnern, wie seine Mutter die Nachricht von dessen Tod erhielt), er selbst gerät nach dem Zweiten Weltkrieg in Gefangenschaft. Nach 1945 baute er nicht nur sein zerstörtes Umfeld, sondern auch die Frankfurter Künstlerszene wieder auf. 1946 findet Dickenbergers erste Ausstellung in seiner Geburtsstadt Frankfurt statt.
Er ist damit bisher stolze 55 Jahre als bildender und, wie Museumsdirektor Häring in seiner Rede betonte, auch als außerordentlich gebildeter Künstler aktiv. Trotz seines hohen Alters ließ es sich der bewundernswert Rüstige nicht nehmen, am Donnerstagabend bei der Ausstellungseröffnung im Alten Schloss anwesend zu sein.
Zu sehen ist kein Querschnitt durch Dickenbergers schaffensreiches Künstlerleben. Diese Ausstellung schließt an eine vorangegangene an: 1990 zeigte ihn Museumsdirektor Dr. Friedhelm Häring bereits im Oberhessischen Museum. .Bis auf zwei sind die nun zu sehenden Gemälde alle zwischen 1990 und 1999 entstanden, also im Respekt einflößenden achten Lebensjahrzehnt des Malers.
Dickenberger ist der Tradition des Expressionismus verpflichtet. Seine Bilder passen so gar nicht in die heutige Welt, in der manchmal alles auf den ersten Blick einsortierbar und klar erkennbar sein muss. Der Betrachter sollte sich beispielsweise der 'Irischen Landschaft im Hundeschädel' zuerst aus der Entfernung annähern: Die manchmal klecksartigen Striche bilden nur auf Distanz grüne Hügel, einen geschlungenen Feldweg und hohe Bäume, die diesen säumen. Doch wenn der Zusammenhang klar ist, müssen die Einzelheiten aus der Nähe betrachtet werden, so die geschwungenen Pinselstriche, die den Hundeschädel beschreiben.
Und dass dieser in einem Landschaftsbild auftaucht, ist typisch für Dickenberger. Seine Bilder beinhalten eine Mischung aus verschiedenen Ebenen der Erinnerung. Den Hundeschädel hat er mal bei einem Waldspaziergang gefunden, jetzt liegt er in seinem Atelier, in Irland war er viele Jahre lang als Urlauber. Beides zusammen ergibt eine irreale Landschaft, die aber nicht verrückt erscheint, sondern eher ironisch gebrochen wirkt. Bis zum 15. Juli. kt


Frankfurter Allgemeine Zeitung 28.7.99
Berge, Wolken, Schluchten
Bilder von Georg Dickenberger

Schon in den Fünfzigern, als Reisen noch ein Luxus waren, hat Georg Dickenberger mit seinen kulturhistorischen Beiträgen für  den Hessischen Rundfunk eine große Zuhörerschar zu den Kunstschätzen der Welt entführt. Manch einen regten seine Betrachtungen zur Beschäftigung mit Kunst oder Literatur an, denn in beiden Disziplinen war Dickenberger überzeugend. Bis 1980 klangen seine Berichte und Reportagen zu kulturellen Ereignissen, vor allem aber zu bildkünstlerischen Themen, über den Äther. Denn ihnen galt Dickenbergers besondere Neigung, war er doch selbst ein Maler, der sich mit seiner Radioarbeit die künstlerische Freiheit finanzierte.
Nicht nur hier, auch im Ausland hat Georg Dickenberger, dessen neue Arbeiten in der Frankfurter Galerie Helmut Pabst (Braubachstraße 32) zu sehen sind, fast alljährlich ausgestellt. Begonnen hatte der 1913 geborene Maler wie viele seiner Generation mit expressiv-figürlichen Darstellungen. Bald ist er jedoch zur freien  Expression übergegangen. Sein beinahe ausschließliches Thema wurde die Landschaft - befördert durch seine vielen Reisen: „Nicht so sehr die Ansicht interessiert mich, vielmehr die Struktur des dargestellten Gegenstandes", sagt Dickenberger. Durch einen expressiven Pinselzug zeichnen sich auch seine jüngsten Bilderinnerungen an Gesehenes und Erlebtes aus: Dünen, Berge, Schluchten, die See und Wolken finden ihren Reflex in mit dunkler Gestik durchsetzten Acrylmalereien. (Bis 7. August; Dienstag bis Donnerstag von 14 bis 20 Uhr, Freitag von 14 bis 18 Uhr und Samstag von 11 bis 16 Uhr.)    cvh.


Frankfurter Rundschau 17.4.97
Die Küste von Sligo – im irischen Geist erfasst
Dem Expressionismus und der Landschaft treu: Georg Dickenberger in der Galerie Pabst
Von Ingrid Juretzek
ALTSTADT. Farben und Rhythmus der Bilder wollen die Erinnerung an eine Landschaft wecken. Sie haben keine Raumtiefe. Sie vermitteln Wärme, glitzerndes Wasser, ohne gegenständlich zu sein. Es ist zu spüren, daß Georg Dickenberger schon seit Jahrzehnten ausstellt. Viele seiner derzeit in der Galerie Pabst zu sehenden Landschaften beziehen sich auf Irland, "mein Hauptreiseziel".
Entstanden sind die ausgestellten Bilder m den vergangenen zehn Jahren, der Maler benutzt vor allem Acryl- und Aquarellfarben. Er arbeitet immer aus der Mitte heraus. "Form und Gestalt entstehen", ohne daß Georg Dickenberger sie forciert. "Ich erlebe die Landschaft intensiv und male aus der Erinnerung an eine Landschaft. In der Natur mache ich Skizzen und sammle Gegenstände wie Steine, Holz, Wurzeln." Dickenberger malt im Atelier, wo er die gesammelten Gegenstände vor sich hat. Der dynamische Schwung, die expressive Farbgebung ohne gegenständliche Formen zeigen dennoch ein Stück naturgegebener Wirklichkeit. Das Bild 'Sligo Coast': Knalliges Rot, das sich mit Weiß und Schwarz berührt, gibt den Rhythmus des gewaltigen Wassers wieder "Es sieht dort ganz anders aus, aber es ist der Geist und der Rhythmus des Irischen, das sagten mir sogar die Iren." Bis ein Bild fertig ist, vergehen mindestens vier Wochen.  Der 1913 in Bockenheim geborene und noch heute dort lebende Künstler stellt aus, seit er 17 ist, besichtigt Ateliers, schreibt. "Mein zweiter Beruf war Schriftsteller und Reporter." Dickenberger verfaßte Gedichte, Kunstberichte für Funk und Presse, arbeitete unter anderem für den HR. Außerdem betreute und organisierte er viele größere Ausstellungen. "Nachts habe ich gemalt. Ich war nie angestellt, ich war frei. So wird .man alt", sagt der 83jährige.
1946 hat Georg Dickenberger als Mitglied der Gewerkschaft "Freie Berufe" die Gruppe "Junge Kunst" mitgegründet. Diese startete den Versuch, an die Kunst der 20er Jahre, den zerschlagenen deutschen Expressionismus anzuknüpfen, vor allem an Max Beckmann. Fraglos hat die Präsenz Beckmanns, der bis 1933 am Städel unterrichtete, eine ganze Generation Frankfurter Künstler geprägt. Das Heftige und Wilde in der Tradition des Expressionismus verbindet Dickenberger auch mit einer zweiten Quelle der Nachkriegskunst, mit der "Quadriga". Die Gruppe "Junge Kunst" versuchte, den Bruch, der durch den Verrat an der Freiheit der Kunst 1933 entstanden war, zu überbrücken. Dickenberger schließt an Künstler an, deren Werke verdrängt und als entartet diffamiert worden waren. Er ist dem Expressionismus und den Landschaften treu geblieben.


Frankfurter Rundschau 19.11.1993
Mit der Seele gemalt
Ausstellung zum 80. Geburtstag von Georg Dickenberger

Fast ein halbes Jahrhundert ist es her, daß Georg Dickenberger erstmals in Frankfurt ausstellte. Hier ist er am 7. August 1913 geboren, hat 1940 die Künstlergruppe "Junge Kunst" (die erste Frankfurter Künstlervereinigung der Nachkriegszeit, die indes nie den Bekanntheitsgrad der "Quadriga" erreichte) mitbegründet, hier arbeitete er literarisch und kunstkritisch, war als Illustrator und Hörspielautor beim Hessischen Rundfunk tätig, redete und schrieb in Radio und Presse über die Kunst anderer — und vernachlässigte bisweilen die eigene. Hier wurde er nun 80 Jahre alt
Manche Frankfurter kennen eher seine Stimme als seine Linienführung und sein Farbgespür, verbinden mit seinem Namen eher die kritische Begleitung des kulturellen Geschehens und das pädagogische Anliegen des Schulfunkredakteurs als künstlerisches Vermögen und malerische Qualität Das Kulturamt hat Georg Dickenberger nun eine Retrospektive im Dormitorium des Karmeliterklosters eingerichtet die endlich den Künstler zu Wort kommen läßt. Da steht man nun und staunt.
Zwar kann der Begriff einer "Rückschau", der allgemein den nach Möglichkeit gleich gewichtenden Blick auf ein kontinuierlich vorgetragenes Lebens- oder Lebensabschnittswerk meint, nur bedingt Gültigkeit haben, weil Dickenberger eben über längere Zeiträume überhaupt nicht malte.
Eine beachtliche Reihe von Acrylbildern, Gouachen und Aquarellen ist tatsächlich erst in den letzten Jahren entstanden. Aber mit welchem Schwung sind sie in Angriff genommen, mit welchem Elan ausgeführt und wie dicht in Komposition und Empfindung!
Die früheste Arbeit stammt von 1950; eine "Kreuzigung" ist das, als solche nicht gleich zu erkennen, aber mit einem bildnerischen Ernst und in einer Gestimmtheit geschaffen, die zum Hinschauen zwingen. Es handelt sich um ein Ölbild, später bevorzugt Dickenberger die Acrylmalerei. In der Folge können das "Röntgenbild", ein Versuch in Tempera von 1967, und das "Vogelstrand" genannte Querformat aus demselben Jahr als Schlüsselwerke gelten. Hier wird die Souveränität offenbar, mit der Dickenberger sowohl Vorgaben des Informel als auch einer surrealistisch rätselreichen Malerei für sich überprüft. Er annektiert fast nichts, schöpft viel aus eigenem Vermögen. Die Paraphrase ist allenfalls hauchfein; Dickenbergers bleiben als eben diese im Gedächtnis.
Die siebziger Jahre streift die Ausstellung mit Bildern von Küsten und Seestücken. Dickenberger reist schon immer gern, nun nach Irland und Nordfrankreich. Das Licht des Südens packt ihn erst später. Aufenthalte in Spanien und Südfrankreich folgen — und wirken sich aus auf die Farbzufuhr, die Dickenbergers bis dahin manchmal ätherisch-diskrete Arbeiten nun in blutvolle, pulsierende und pure Kraftfelder verwandelt.
Auffällig ist die Vielfältigkeit in Ausdruck und Stilansatz. Dickenberger pendelt zwischen abstrakt erscheinendem Furor (den jedoch das landschaftliche Erlebnis häufig genug fundamental beeinflußt) und naturalistischer Bildgestalt. Nie aber wirkt die Figuration überreizt und damit flach, bewegt sich die abstrakte Komposition im bloß Oberflächlichen, Dekorhaften. Sicher, drei, vier Arbeiten scheinen nicht ganz so ausgebildet wie andere. Manche sind laut und bunt und fesseln mehr im Moment. Insgesamt jedoch erhält sich der Eindruck einer Malerei, die durchlebt wurde, bevor sie sich so manifestierte. Daher hat sie auch nach dem Gang durch die Ausstellung Bestand und provoziert vor der mit fast Böcklin'schem Sentiment gemalten "Irischen Landschaft mit Hundeschädel", dem letzten Bild vor dem Ausgang, noch einmal Nachdenklichkeit. Dickenberger weist sich als enthusiastischer und reflektierender Landschafter aus. Nicht als Porträtist sondern: Landschaft ist bei ihm "immer ein Ausdruck der seelischen Lage", wie Friedhelm Häring im Katalog schreibt, der auch geeigneterweise Max Ernst zitiert mit dem auf Dickenberger münzbaren Wort: "...der Funke Poesie, der überspringt".   
Dorothee Baer-Bogenschütz


Gießener Allgemeine 8.10.90
Abstrakte Landschaften in starken Farben
Bilder von Georg Dickenberger im Alten Schloß

Er hat bewegte Zeiten gesehen und seinen Optimismus offenkundig nie verloren: Georg Dickenberger (geb. 1913) war zur Vernissage seiner Ausstellung selbst ins Alte Schloß am Brandplatz gekommen. Er strahlt positive Lebenssicht ebenso aus wie seine farbenfrohen, lebendig pulsierenden Bilder, die seit Freitagabend im Ausstellungsraum zu sehen sind. Der aus Frankfurt/Main stammende Künstler hat in seiner Heimatstadt, an die expressionistische Tradition Max Beckmanns anknüpfend, nach 1945 wesentlich an der Wiederbelebung der deutschen Kunst mitgearbeitet; er ist u. a. Gründer der Gruppe "Die junge Kunst".
In seiner Einführung charakterisierte Museumsdirektor Dr. Friedhelm Häring das Hauptsujet der Malerei von Georg Dickenberger: "Landschart als Erkenntnisraum, der über die malerische Aktion in der Fläche sein Äquivalent findet". "Farbe, Rhythmus, Zerstörung, Spannung, Energie, Kraftfelder" waren einige seiner Stichworte zu den Bildern.
Bei der Betrachtung der 30 Exponate aus der Zeit zwischen 1966 und 1990 überwiegt die heitere Farbigkeit der oftmals mit topografischen Angaben betitelten Werke. So stellt sich »Irland« als ursprüngliches und ausdrucksstarkes Erlebnis dar: Hinweise für Landschaft etwa in Form von Horizont oder Gegenständlichkeit liegen wie auch in fast allen anderen Bildern nicht vor, die Art der Farbigkeit und die Dynamik der Felder und Striche jedoch sprechen über einen geistig-sinnlichen Weg unmittelbar an. Ähnliches teilt sich in dem jüngsten Werk von 1990 'Blaue Landschaft mit Wolken' mit. "Dickenbergers Bilder sind 'Erinnerungsbilder'. Mit den Mitteln informeller Gestaltung läßt der Maler dynamisch wirkende Spannungsfelder entstehen" (Manfred Fath, Kat. Stadt Kunstsammlung Ludwigshafen, 1971). Friedhelm Häring nennt den Künstler in seinem Katalogaufsatz 'Landschaft als Lebensgeheimnis' einen 'Realisten', in dessen Bildern das Erlebnis der Elemente expressiv zum Tragen kommt.
Die klare und kräftige Farbgebung tritt zugunsten erdgebundener Tonigkeit in einigen Beispielen aus den sechziger Jahren zurück, in denen Dickenberger sogar noch konkrete Angaben
collagehaft verwendet; so gibt etwa ein Maschendraht greifbare Hinweise.  Die achtziger Jahre dagegen sind beherrscht von heftigem, "tachistischem" Pinselstrich und lebhaftem Farbklang, ein Wechsel zwischen Bildmuster und feldbetontem, fest zentriertem Bildbau macht sich bemerkbar.
Die, Hängung im Saal setzt auf Kontraste und bietet dem Auge viel Anregung. Zu der attraktiven Ausstellung, die bis zum 18. November geöffnet ist, gibt es einen Katalog (20,- DM); die farbigen Abbildungen begleiten Texte von Georg Dickenberger, Friedhelm Häring und Horst Tim Lehner.   rw


Frankfurter Allgemeine Zeitung 14.11.88
An niemanden gebunden
Arbeiten von Georg Dickenberger in der Kommunalen Galerie

Bildende Künstler, die auch als Wortkünstler auftreten, galten lange Zeit als Doppelbegabungen. Heute ist das anders: Viele junge Maler schreiben auch, ob nun begabt oder nicht. Jedenfalls sind sie in keinem Zwiespalt, auf welchen Ausdruck sie sich konzentrieren sollten, auf das Bild oder das Wort.
Darüber war auch der Frankfurter Georg Dickenberger, der im August fünfundsiebzig Jahre alt geworden und also noch eine echte Doppelbegabung von altem Schrot und Korn ist, nie im Zweifel.
Er wurde ein Mann des Wortes, ein namhafter Autor von allgemein-kulturellen und kunstkritischen Beiträgen für die Medien. Entschieden hatte er sich für diese Anwendung seiner Begabung aus Verantwortungs-bewußtsein. Mit brotloser Kunst ließ sich in den Gründerjahren der jungen Republik keine Familie ernähren.
Das Malen und Zeichnen jedoch, dem seine frühe und so glückliche Liebe gegolten hatte, begleitete seine schriftstellerische Arbeit von Beginn an. Dickenbergers Kunstschule waren die - damaligen - Notateliers der Malerfreunde; bei ihnen eignete er sich das Handwerk an. An eine einigermaßen geregelte Ausbildung war schließlich in der Zeit vor und kurz nach 1945 nicht zu denken.
Die intellektuelle Durchdringung der Phänomene besorgte er mit Hilfe seines rasch ganz erstaunlich angewachsenen Wissens auf vielen Gebieten. Wer korrekt mit dem Wort umgehen muß, geht auch den Phänomenen analytisch auf die Spur, bevor er als Maler die Dinge der sichtbaren Welt dem eigenen Temperament entsprechend umsetzt.

Mit einer ganzen Reihe von Einzel-Ausstellungen in Frankfurt, in Wiesbaden und Ludwigshafen wie auch in den Vereinigten Staaten, in Kanada und Irland hat Dickenberger seine Malerei zur Diskussion gestellt und rege Wirkung erzielt. Jetzt, im Jubiläumsjahr, zeigt er in der Kommunalen Galerie im Leinwandhaus eine Retrospektive auf seine Produktion vornehmlich des letzten Jahrzehnts.
Fünfunddreißig Bilder sind thematisch gebunden an Landschaften der Nordsee oder der Auvergne, in Irland, im Tessin oder wo sonst der Frankfurter die kräftige, noch weitgehend unverstümmelte Natur sucht. Dickenberger geht nicht abbildhaft vor bei seiner Malerei. Er zeichnet zwar Studien vor der Natur, verwendet diese aber selten zu einem motivisch oder topographisch eindeutigen Bild. Im glücklichen Gefühl seiner Freiheit, an nichts und niemanden gebunden zu sein, an keinen Trend oder Stil oder Manager, verarbeitet er seine Sinneseindrücke nach der Reflektion zu Bildern, die den Gesetzen der Fläche folgen, der Schattenlosigkeit, dem Prinzip, eine Komposition von der Mitte ausgehend zu entwickeln.
Dabei hat er seine eigene Handschrift gefunden; energisch, expressiv und dennoch diszipliniert. Schließlich: Georg Dickenberger hat Hunderte - wenn nicht mehr - von Kunstkritiken geschrieben, und er steht auch der eigenen Malerei nicht kritiklos gegenüber.  cvh


Rheinpfalz 18.9.71
Schau der Kontraste
Die Doppelausstellung Johns – Dickenberger in Ludwigshafen - Ein Weltstar und ein Stiller im Lande

Ludwigshafen. Mit einer Präsentation des grafischen Gesamtwerks des Amerikaners Jaspar Johns und einer gleichzeitig im Kleinen Binder-Saal des Relchert-Hauses gezeigten Auswahl von Bildern und Gouachen des Frankfurter Malers Georg Dickenberger steuert die Stadt Ludwigshafen die neue Saison an. Gemeinsamkeiten zwischen zwei höchst verschiedenen Temperamenten suchen zu wollen, wäre ein müßiges Unterfangen. Nur Individualisten sind sie beide auf ihre Welse, der Pop-Vater und der malende Literat.

Während Jaspar Johns weltweit im Gespräch ist, muß man den 58jährigen Dickenberger zu den Stillen im Lande zählen. Der Mitgründer   der   Frankfurter   Gruppe "Junge Kunst" wurde für lange Jahre durch seine  literarischen  und  pädagogischen Arbeiten abgehalten. Im Binder-Saal des Reichert-Hauses lernt man in ihm einen Naturmaler besonderer Eigenart kennen. Einen, der die Auseinandersetzung auf seine Weise sucht. Genauer: Dickenberger geht es nicht um das Abbilden. Die Landschaft ist ihm vorwiegend Anregung, sich mit ihren Formationen und Strukturen zu befassen. Von da aus gelangt er ganz von selbst zu einer Art informeller Gestaltung, die gleichwohl den Ansatzpunkt zu erkennen gibt. Während er in dem frühen "Wasserfall" von 1947 die Farbe noch sehr behutsam einsetzt, hat er heute andere Mittel gefunden. Typisch ist  für ihn die Gouache-Technik, die er vom Zeichnerischen her mit Vollage-Effekten eweitert.     Klaus J, HoHmiinn


Frankfurter Allgemeine Zeitung 25.10.69
Frankfurter Gesicht: Georg Dickenberger

ae. Frankfurt ist Ihm "so schön wie jede andere Stadt auch"; dieses Wort aus einer kleinen, liebenswerten Meditation über die Heimatstadt aus einer — später auch gedruckten — Sendung im Rundfunk kennzeichnet die Betrachtungsweise des Funkautors und Journalisten, bezeichnet das stets spürbare Bemühen, Menschen wie Dingen unbefangen gegenüberzutreten, ihnen gerecht zu werden. Mag diese Distanz, mögen Ironie und Selbstironie   zunächst Unbeteiligtsein und Kälte vermuten lassen, die Leidenschaft des Malers Georg Dickenberger für seine Gegenstände belehrt rasch eines Besseren. So ist Frankfurt für ihn, um Im Zusammenhang des obigen Zitats zu bleiben, nicht einfach eine Stadt wie jede andere, denn aus mancherlei Gründen vermag er gerade sie mit "stillem, zärtlichem Glück" zu betrachten, und so ist sie für ihn, der die französische Hauptstadt liebt, "schön wie Paris".
Dickenberger wurde Im Vorkriegsjahr 1913 in Frankfurt geboren. Sein Vater fiel früh, die höhere Schule konnte er nicht bis zum Abschluß besuchen. Um so bald wie möglich zu eigenem Verdienst zu kommen, absolvierte er eine Kaufmannslehre, doch bereits 1935 konnte er, der sich dem Regime durch seine Aktivitäten in der bündischen Jugend verdächtig machte, auch hierbei nicht bleiben. Als Hilfsarbeiter in einer Mühle verdiente er sich bei Bekannten sein Geld, bis ihn der Wetterforscher Professor Franz Bauer als einen Freund in sein Bad Homburger Institut übernahm. Die Gestapo noch einmal auf den Fersen, gelang es ihm hier schließlich, als Wetterdienstinspektor dienstverpflichtet, den Krieg zu überleben. Und was für ihn besonders wichtig war, er durfte seiner alten Leidenschaft, dem Malen, treu bleiben, auch wenn Farben inzwischen nur noch über die "Reichskulturkammer" abgegeben wurden, für ihn unerreichbar.
Die Lust an der wiedergewonnenen Freiheit und überschäumende Schaffensfreude der ersten Nachkriegsjahre lassen Georg Dickenberger und seine Frau Heide sich gern zurückerinnern. Erste   Ausstellungen inmitten der Trümmer der Stadt, die Freundschaften in der Vereinigung 'Junge Kunst', die ausgelassenen Feste im damaligen Atelier in der Vilbeler Straße.
Neue Bilder, neue Ausstellungen, das setzt sich bis heute fort. Doch obgleich das Malen ihm so manches Mal auch als "verdammte Arbeit" erscheinen mochte und obgleich Dickenberger immer noch manch lange Abende in seinem Atelier verbringt, er ist froh, nicht von seiner Kunst leben zu müssen. Hals über Kopf stürzte er sich 1949 In die Aufbauarbeit im hessischen Schulfunkprogramm. Geschichte, Volkskunde, Kunst und Politik, das sind die Themen, zu denen der Autor, Reporter, vielfach auch Regisseur und Sprecher im Schulfunkprogramm regelmäßig beiträgt. Darüber hinaus berichtet er seit einigen Jahren auch für das Kulturmagazin im Süddeutschen Rundfunk über die großen Kunstausstellungen im deutschen Sprachraum und malt, als Entspannung gleichsam, mit Worten Städtebilder aus dem gern bereisten Elsaß.
Das Arbeitspensum  ist gewaltig. Seine Frau, der er in die Maschine diktiert, die ihm In der Universität Quellenmaterial sammelt, ihn in seiner Arbeit begleitet, meint, es fresse ihn auf, aber er brauche es. Nun, seinen Sendungen merkt man es nicht an. An der Lyrik, in der er sich lange Jahre in Brechtscher Manier versuchte, geschulte Knappheit und Leichtigkeit bestimmen seinen Stil, Nüchternheit und gleichzeitiges Eingeständnis der eigenen Empfindsamkeit geben ihm, wie seiner an Sutherland geschulten Malerei, die Farbe.


Frankfurter Rundschau 9.2. 1968
Sehlust
Georg Dickenbergers Bilder im Frankfurter Karmeliterkloster

Droben unterm Dach des Frankfurter Karmeliterklosters, wo einige Künstler ihre Ateliers haben, sind auch die Ausstellungsräume des Berufsverbandes, wo zur Zeit Oelbilder, Aquarelle und Zeichnungen des Malers und Publizisten Georg Dickenberger gezeigt werden. Ein eiliger Passant wird sich selten dorthin verirren; in diesem Fall ist es auch gut so. denn die Bilder Georg Dickenbergers erschließen sich nicht dem schnellen, oft flüchtigen Blick.
Die Ausstellung enthält zumeist Arbeiten aus den letzten Jahren, doch wäre es schwer, ohne die Jahresangaben die Entstehungszeit der Bilder zu bestimmen. Dickenberger ist kein Mann der jeweils neuesten Richtung, was jedoch nicht heißt, er verstünde nichts vom Raffinement der Collagetechnik oder von den dynamischen Spannungsfeldern des action painting. Er kann sehr wohl die verschiedenen Mittel und Techniken verwenden.
Dickenberger tut seinen Objekten keine Gewalt an. Auch wenn er — wie im Hafen-Triptychon — ein expressives Temperament zeigt, bleibt doch der Eindruck bedachtsamer Einfühlung in eine Stimmung, ein Gesamtbild. Dissonanzen werden zwar nicht harmonisiert, doch werden sie auch nie derart gesteigert, daß sie ein Bild zu sprengen drohen. Die Vorliebe Georg Dickenbergers für Landschaften, für die Natur, wie der Wanderer sie erlebt, kommt nicht von ungefähr. Hierin scheint sich die fast resignierende Erfahrung niederzuschlagen, daß im Dschungel der Städte der Mensch gespalten wird in seine Funktionen, daß er untergeht in einer Flut von Reizen und keine Chance mehr hat, einmal zu sich selbst zu kommen.
Aber Georg Dickenbergers thematische Beschränkung, welcher besonders in den Aquarellen und Gouachen eine allen Effekten abholde, extrem zurückhaltende Farbenskala entspricht, ist nicht Ausdruck einer Flucht in die Idylle. Gerade darin liegt die Stärke Dickenbergers, daß er in Landschaften, in einem  Hundeschädel oder in Granatäpfeln seine private Erfahrung einer disharmonischen Welt entfaltet und zur allgemeinen Erfahrung auch beim Betrachter werden läßt.
Der besonderen Aufmerksamkeit sind die Zeichnungen wert. In ihnen kommt Dickenbergers "Sehlust", seine Liebe zu den optischen Reizen der thematischen Gegenstände am deutlichsten zum Vorschein. Mit sicheren Strichen trifft er die differenziertesten Raumverhältnisse und vermittelt auch etwas von der handwerklichen Lust am Zeichnen, die bei diesen gelungenen Blättern mit im Spiel gewesen sein muß.  MANFRED MÜLLER


Abendpost 1951
Dickenberger-Ausstellung im Theater-Foyer

Die Idee, in einem Theaterfoyer eine Bilderausstellung zu veranstalten, bietet wechselwirksame Reize. Für den Theaterfreund bedeutet sie eine farbige Ausweitung des Theaterbesuches und für den Ausstellenden die Begegnung mit zahlreichen Kunstinteressenten. Dank dem Frankfurter "Intimen Theater" 'am Börsenplatz für diese Vermittlung.
Der Frankfurter  Mittdreißiger Georg  Dickenberger hat neue Arbeiten ausgestellt. Tempera-Arbeiten, die ausnahmelos im vergangenen Jahr entstanden sind.
Während die früheren Bilder Dickenbergers vornehmlich Landschaften Form und Farbe gaben, zeigt sich nunmehr eine deutliche Wandlung in der Stoffwahl.
Starke  Eindrücke  hinterlassen vier Themen: "Tänzerin", "Harlekin", "Biblisches Thema" und vor allem das "Liebespaar".
Die Fabel ist in der Bildwirkung von Dickenberger zwar stets angedeutet, an die Grenze einer hinter-gründigen Gegenständlichkeit gestellt aber - sie wird wesentlich durch eine sehr starke Betonung von Form und Farbe überstrahlt.
Dickenberger erreicht, vor allem bei der "Tänzerin" und dem "Saxophonspieler", eine beinahe dramatische Spannkraft. Es scheint, als stünden beide in der Mitte zwischen zwei Bewegungen. Zwischen Aufhören und Beginnen. Es ist Trauer um das Aufhörenmüssen und Angst vor einem neuen Beginnen, vielleicht beides, dem Dickenberger in diesen Bildern Ausdruck verleiht.
Die Ausdeutung der einzelnen Themen mündet immer wieder auf die beiden Elemente zurück: Angst  und Trauer, Elemente, die im gegenwärtigen Leben einen großen  Raum beanspruchen.   h.


Offenbach Post 1948
Atelierausstellung

Man muß sich den Weg zwischen unkrautbewachsenen  Schutthaufen zum Eingang der Villenruine Städelstraße 8 erst suchen, ehe man zu den intimen Atelierräumen gelangt, die der Frankfurter Maler Georg Dickenberger und die Bildhauerin Claire Bechtel in den hinteren Gewölben des zerbombten Hauses mit Geschmack einrichteten.
An den Wänden hängen die neuesten Bilder, Arbeiten aus den Jahren 1847 und 1948. Das Typische an Dickenbergers Gemälden ist ihre leuchtende Farbigkeit. Blau, gelb und rot sind die Töne, die in jenen Kompositionen, vielfältig abgestuft,  immer  wiederkehren. Hinzu kommt eine zum Teil sehr eigenwillige Gestaltung der Form. Der konkrete Zusammenhang, das Thema als solches, bleibt, abgesehen von dem durchaus abstrakt gehaltenen  "Schiffbruch", immer erkennbar. Unter den vorhandenen Temperabildern zählen der "Hafen ", die "Flußlandschaft'', ein in gedämpftem   Kolorit   gehaltenes Aquarell "Salzburg", eine kleine Kohlezeichnung (Pferdewagen) zu den gediegensten Arbeiten Dickenbergers.
 Dr. Gustav Funke.  


Frankfurter Neue Presse 1948
Atelier-Ausstellung in der Städelstraße

Als die Bildhauerin Cläre Bechtel in das zerstörte Frankfurt zurückkehrte, war ihre erste Sorge das Atelier das sie sich dann in den Resten eines Trümmerhauses errichtete.
An den Wänden des Ateliers hängen Aquarelle von Georg Dickenberger, in denen die Auseinandersetzung des Malers mit den Problemen des Expressionismus sichtbar wird. Einige Blätter zeigen den Ausgangspunkt von der Form, in der er sich früher durchaus eigentümlich äußerte: in den neueren vollzieht sich eine Aufhellung der Farbe und eine Vereinfachung der Form, die das innere Wachstum beweisen, bis hin zu den sehr bewegten Wasserfällen und dem abstrahierenden "Schiffbruch". Es ist eine — gewiß noch nicht abgeschlossene, aber saubere und freie Entwicklung, die mehr als nur interessierte Beachtung verdient.   G.R.


Stimme der Arbeit 1948
Die Kunst dem Volke

Wir besuchten die Atelierausstellung Städelstraße 8, in der Claire Bechtel und Georg Dickenberger ihre Künste zeigen. Wer In unserer schönheitsleeren Zelt der wilden Spannungen die reinere Luft einer veredelten Welt atmen will, der lenke seinen Weg nach dem stillen freundlichen Atelierraum inmitten grüner Gartenlandschaft, den die Bildhauerin Claire Bechtel mit Opfern und großer Liebe aus Trümmern erschuf. Mit ihren Plastiken erhob sie ihn zu einer Stätte stiller Sammlung und erhabenen Genusses. 

Der Maler Georg Dickenberger, der im gleichen Raume ausstellt, gehört zu der Gruppe junger Künstler, die Im Ringen nach neuem Ausdruck mit Symphonien aus Farbe und Form unser besseres Selbst rühren und erheben wollen, die daher auf ihrem schweren Weg jede Unterstützung des Einsichtigen verdienen. Seine Behandlung des Materials zeigt den Weg, sie ist auch schon Erfüllung. Man lasse seinen "Bahnhof" und "Schiffbruch" auf sich wirken und erkennen, wie hier das Monstrum "moderne Technik" ohne Betonung des Gegenstandes, uns höhnisch grinsend entgegenspringt. Man versenke sich auch in seine "Flußlandschatt", in "Russische Kathedrale" und fühle, wie hier mit rein künstlerischen Mitteln der Eindruck von Gewaltigem und Lieblichem in unsere Seele gesenkt wird.           Max Keller